Ein Wildbienenhäuschen auf dem Balkon oder ein Bienenstock im Garten: Immer mehr Menschen in der Stadt St. Gallen halten Bienen – was gleichzeitig heisst: Es gibt mehr Bienenvölker. Zeit für einen Besuch im Bienenzentrum an der Stadtgrenze.
Es gibt wieder mehr Bienen in der Stadt! Lesen Sie unten die Gründe, weshalb die Zahl der BienOtto Hugentobler lupft den Deckel des Bienenschaukastens. Durch die Scheibe ist ein wildes Gewusel zu sehen. Unzählige kleine Bienen kleben an der Wabe, arbeiten fleissig – und mittendrin die Königin. Für Laien ist sie unter all den Bienen kaum erkennbar, doch der Profi findet sie. «Da, unter diesen Bienli ist die Königin», sagt Hugentobler und zeigt auf einen kleinen Schwarm im Schwarm. «Sie wärmen ihre Königin. Das ist gerade bei den frischen Temperaturen wie wir sie in diesem Frühling hatten, sehr wichtig.» Denn: ohne Königin keine Bienen. Als das einzige fortpflanzungsfähige Weibchen im Volk trägt sie eine grosse Verantwortung. Je nach Futterangebot und Jahreszeit kann sie täglich bis zu 1500 Eier legen und steuert damit die Stärke des Bienenvolks.
PROFESSIONELLE BIENENBETREUUNG
Auch wenn beim «Didaktischen Zentrum Bienen-Werte» an diesem Tag im Mai wegen des kalten und regnerischen Wetters nur wenige Bienen ausfliegen, summt es öfter in St. Gallen. Die Zahl der Bienenvölker in der Stadt ist gemäss Statistik des kantonalen Landwirtschaftsamts in den vergangenen Jahren stetig gestiegen: 2012 waren es 182 Völker, drei Jahre später 235 und heute sind es bereits 282 Bienenvölker. Seit 2010 erfasst der Kanton die Bienenvölker flächendeckend in allen Gemeinden.
«Die Bienen in der Stadt haben es einfacher», sagt Hugentobler, der den Bienenzüchterverein St. Gallen und Umgebung präsidiert und mit demselben auch verantwortlich ist für das Bienen-Zentrum in Mörschwil. «In der Stadt gibt es von Frühling bis Herbst schön gepflegte Gärten mit blühenden Pflanzen. Zudem haben viele Menschen mittlerweile Blumen oder ein Wildbienen-Häuschen auf ihrem Balkon oder der Terrasse.» Auf dem Land hingegen würden die Wiesen viel zu früh gemäht, daher fänden die Bienen nach der Bluescht weniger Nahrung und müssten zwischenzeitlich gar gefüttert werden.
Dass mehr Bienen fliegen, hat auch damit zu tun, dass die Bienenbetreuung, wie es Hugentobler liebevoll nennt, professioneller geworden ist und es immer mehr Imkerinnen und Imker gibt. Im Vergleich zu 2010 es heute fast doppelt so viele in der Stadt St. Gallen, wie ein Blick in die städtische Statistik zeigt. «Bienen können in der freien Wildbahn kaum mehr überleben», sagt der pensionierte Architekt, der selbst seit über 20 Jahren mehrere Bienenvölker hegt und pflegt. «Die Bienen brauchen uns Imkerinnen und Imker.» Grund ist ein Parasit: die Varroamilbe. Sie kann sich im Nacken einer Biene festsetzen und ihr das Blut aussaugen oder sie durch die Stichwunde mit anderen Krankheiten anstecken. Dieser Parasit nistet sich in der Brut ein und vermehrt sich rascher als die Bienen. Die Varroamilbe wurde durch den internationalen Handel eingeschleppt und 1984 zum ersten Mal in der Schweiz nachgewiesen. Sie ist heute eine grosse Bedrohung der Honigbienen. Sie auszurotten ist praktisch unmöglich. Doch die Imkerinnen und Imker wissen sich mittlerweile zu helfen. «Mit verdampfender Ameisensäure stirbt der Parasit ab, die Biene hingegen überlebt», sagt der Experte. Trotzdem: Die Bienen sind damit nicht gerettet. Sie müssen weiter ums Überleben kämpfen. Denn nebst Pestiziden sind auch Insektizide, Krankheiten und Monokulturen eine ernsthafte Bedrohung.
OHNE BESTÄUBUNG KEIN LEBEN
Für viele Menschen sind Bienen lästige Tierchen oder sie sehen sie nur als Honigproduzentinnen. Doch die Bienen
sind viel mehr. Durch ihre Bestäubungsleistung tragen sie mehr zum Wohlergehen der Menschen bei als jedes
andere Lebewesen. In der wirtschaftlichen Bedeutung für die Landwirtschaft folgt die Biene nach der Kuh und dem Schwein an dritter Stelle. «Bienen sind für die Bestäubung unersetzlich, denn nur bei etwa zehn Prozent der Pflanzen findet sie über den Wind statt.» Ohne die Bestäubung könnten sich die Pflanzen nicht weiterentwickeln und vermehren – und irgendwann gäbe es keine Pflanzen, dann keine Tiere und bald auch keine Menschen mehr, so Hugentobler.
Angelockt von Pollen und Nektar, stellen die Honigbienen die Bestäubung für rund 80 Prozent der Raps- und Sonnenblumenfelder, für Obstplantagen, Beerenkulturen und Gärten sicher. Im Gegensatz zu den Wildbienen machen sie dies in der Masse, was beispielsweise gerade bei Apfelbäumen ein grosser Vorteil ist, da jeder einzelne Stempel bestäubt werden muss. Beim Besuch der Blüten bleiben am Körper der Bienen klebrige Pollen haften. Diese werden dann von Blüte zu Blüte getragen. Mit der Bestäubung sorgen die Bienen dafür, dass die Pflanzenvielfalt und dadurch auch ein wesentlicher Teil der Nahrungsmittel erhalten bleibt. Neben den Honigbienen gibt es in der Schweiz rund 600 Arten von Wildbienen, zu denen auch die verschiedenen Hummelarten zählen. Sie produzieren keinen Honig, unterstützen die Honigbienen aber wirkungsvoll in ihrer Bestäubungstätigkeit.
STICH KANN HEILSAM SEIN
Zurück im Bienenhäuschen. Ist er schon oft gestochen worden? «Klar», sagt Hugentobler und fügt augenzwinkernd an: «Und jeder Stich schmerzt.» Bienen stechen aber nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Das Gift, das dabei abgesondert wird, kann für jene Menschen lebensbedrohlich sein, die allergisch reagieren. Laut Hugentobler sind das etwa ein Prozent der Bevölkerung. «Für alle anderen kann ein Stich auch gesund sein: Das Bienengift enthält einen Stoff, der entzündungshemmend und antirheumatisch wirkt.»
Im Stock ist das emsige Treiben der Bienen weiter in vollem Gang. Blitzschnell bewegen sie sich hin und her, saugen Honig und bauen an der Wabe. Nur die Männchen, die sogenannten Drohnen, sitzen entspannt auf der Wabe und lassen sich füttern. «Sie sind nur für die Befruchtung der Königin wichtig. Nach der Schwarmzeit im Frühling werden sie nicht mehr benötigt», sagt Hugentobler und hält seine Hand zum wiederholten Mal an die Scheibe. Er prüft, ob es die gelbschwarzen Tierchen auch warm genug haben. So ganz zufrieden scheint er nicht zu sein. «Es dürfte wirklich bald wärmer werden», betont er und schliesst den Deckel zum Bienenstock.
ALLES WISSENSWERTE AN EINEM ORT
Das «Didaktische Zentrum Bienen-Werte» ist ein Projekt des Bienenzüchtervereins St. Gallen und Umgebung und wurde 2017 auf dem Areal neben dem Gymnasium Untere Waid in Mörschwil, nahe der Stadtgrenze, eröffnet. Entstanden ist ein Bienenzentrum, in dem sich Schulklassen, Vereine und Firmen über die kleinen Nutztiere und ihre Rolle in der Natur, Wirtschaft, Gesellschaft und Geschichte informieren können. Zusätzlich zum Bienenhäuschen und dem Lehrpfad befindet sich in zwei Räumen des Gymnasiums eine interaktive Dauerausstellung. Darin wird unter anderem gezeigt, wie eine Bienenkönigin aussieht, welche Pflanzen Bienen am liebsten mögen, wie sie sich bei der Futtersuche verständigen. Oder wofür der Honig und weitere Bienenerzeugnisse wie Pollen, Wachs oder Bienengift
ausser zum Essen oder für Kosmetika sonst noch gut sind. (lom)